Wenn der Körper krank wird, leidet auch die Psyche

Bis zu diesem Tag

Der Patient ist 33 Jahre alt. Bis vor einem Jahr sei es ihm gut gegangen, sagt er. Er ist verheiratet, hat eine vierjährige Tochter. Seit seiner Ausbildung hat er in einem kleinen Handwerksbetrieb gearbeitet. Er habe sich dort immer wohlgefühlt, erzählt er, seine Arbeit habe ihm Spaß gemacht. Es sei alles in Ordnung gewesen. Bis zu diesem Tag, an dem sich sein Leben änderte.

Bei der Arbeit spürt er plötzlich starke Schmerzen im Brustkorb, hat Todesangst. Ein Kollege ruft den Notarzt. Gerade noch rechtzeitig erreicht er die Klinik. Herzinfarkt. Die Untersuchungen ergeben, dass eine Notoperation erforderlich ist, er bekommt zwei Bypässe. Danach geht es in die Reha. Er hat den Infarkt überlebt. Sein Herzmuskel wurde nur wenig geschädigt. Er nimmt jetzt regelmäßig Medikamente. Er hat Glück im Unglück gehabt. Oder etwa nicht?

Nichts ist mehr wie früher

Es geht ihm nicht gut, sagt er. Er ist körperlich kaum belastbar, ständig müde, die Narbe an seinem Brustbein schmerzt fast permanent. Er schläft schlecht. Er hat Angst, mit seiner Tochter auf den Spielplatz zu gehen. Was, wenn er wieder einen Infarkt bekommt? Eine Garantie gibt es nicht, auch wenn die Ärzte ihm Hoffnung machen. Er traut seinem Körper nicht mehr. Mit seiner Frau hat er schon lange nichts mehr unternommen, was auch? Er ist häufig gereizt, es gibt immer wieder Streit in der Familie. Er verbringt viel Zeit vor dem Fernseher. Und er ist seit einem Jahr krankgeschrieben. Er würde gerne wieder arbeiten, sagt er. Aber er kann es sich momentan nicht vorstellen. Sein Hausarzt hat ihm nun eine Psychotherapie empfohlen, aber er weiß nicht so recht. Er habe ja früher nie psychische Probleme gehabt, habe sein Leben immer gut gemeistert. Bis zu diesem Tag…

Körperliche Krankheit als Belastungsprobe für die Psyche

Häufig ist davon die Rede, dass psychische Belastungen zu körperlichen Erkrankungen führen können. Dass auch der umgekehrte Fall häufig vorkommt, ist weniger bekannt. Eine ernste körperliche Erkrankung kann uns völlig aus der Bahn werfen. Und das gilt nicht nur für Menschen, die bereits vorher unter psychischen Problemen litten. Es müssen nicht immer so dramatische, einschneidende Erlebnisse sein wie bei dem Patienten, von dem ich berichtet habe. Auch die Diagnose eines chronischen Leidens wie zum Beispiel Rheuma, Diabetes, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung oder einer Lungenerkrankung wie COPD ist für Betroffene belastend. Denn: Diese Erkrankungen sind zwar behandelbar, aber nicht heilbar. Wer daran leidet, ist meist dauerhaft auf Medikamente angewiesen und wird trotz bester medizinischer Versorgung mit Beschwerden und Einschränkungen leben müssen.

Psychotherapie kann helfen

Krebspatienten wird immer häufiger eine psychotherapeutische Beratung und Behandlung im Rahmen der Psychoonkologie angeboten – eine sehr wertvolle Unterstützung für die Betroffenen, wie ich finde! Doch auch Menschen, die unter anderen körperlichen Erkrankungen leiden und Hilfe bei der Krankheitsbewältigung benötigen, sollten sich über die Möglichkeiten einer Psychotherapie informieren. Dabei geht es nicht allein um das Verarbeiten der Diagnose, sondern auch darum, wie man mit Gesundheitsängsten umgehen kann, die verständlicherweise bei vielen Betroffenen auftreten. Und nicht zuletzt geht es auch darum, das Leben mit einer chronischen Erkrankung positiv zu gestalten und die eigene seelische und körperliche Gesundheit aktiv zu fördern.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die benötigte Zahl an Sitzungen sehr unterschiedlich ist. Manchen Patienten helfen bereits einzelne Gespräche so gut weiter, dass sie keine längerfristige Therapie benötigen. Andere profitieren von einer längeren begleitenden Behandlung.

Vielleicht hat ja auch der Patient, von dem ich berichtet habe, mittlerweile Unterstützung angenommen.